SBB muss für Tat eines Schuldunfähigen bluten
Am 21. März 2016 wurde ein 85-Jähriger Rentner im Bahnhof Affoltern am Albis/ZH unter einen einfahrenden Zug der S-Bahn gestossen und einige Meter vom Zug mitgeschleift. Dabei wurde er schwer verletzt und sitzt seither in einem Rollstuhl.
Der Täter – ein damals 32-jähriger Türke – wurde aufgrund seiner Drogenabhängigkeit und einer psychiatrischen Erkrankung als schuldunfähig erklärt. Der Mann wurde auch schon wegen zahlreichen Sachbeschädigungen, angeklagt. Unter anderem warf er Steine gegen Züge, demolierte eine Anzeigetafel, wuchtete ein Zugfenster auf und sprang auf die Gleise. Aufgrund seiner Krankheit wurde er aber auch für diese Taten nicht bestraft. Der Rentner blieb damit ohne Genugtuung seitens des Täters.
Bei der zweiten Anklage, vom 5. Oktober 2018 beim Handelsgericht des Kantons Zürich – diesmal gegen die SBB – wurde dem Geschädigten immerhin die geforderte Genugtuung über Fr. 35’000 zuzüglich Zins zugesprochen. Dieses Urteil wurde am 28. Mai 2019 vom Bundesgericht bestätigt.
Grund für die Haftung der SBB ist das mit dem Betrieb einer Eisenbahn verbundene charakteristische Risiko (Gefährdungsrisiko), welches sich verwirklicht hat und eine Entlastung oder Kürzung der Genugtuung aufgrund der Dritteinwirkung ausschliesst.
Das Urteil ist meines Erachtens korrekt. Denn gemäss Gesetzestext wie auch den Materialien ist eine Exkulpation nur berechtigt, wenn ein Selbst-/Drittverschulden oder höhere Gewalt vorliegt. Da der Täter jedoch schuldunfähig ist, liegt demnach auch kein Drittverschulden vor. Das heisst, die SBB muss sozusagen für die Schuldunfähigkeit des Täters einstehen.
Um das Gefährdungsrisiko zu minimieren, müsste die SBB wohl an allen Bahnhöfen der Schweiz Schutzwände an den Perrons aufstellen. Eine solche Handhabung ist fast nicht umsetzbar, und wenn, dann mit enorm hohen Kosten verbunden. Diese müssten im Anschluss den Kunden, also uns allen, weiterverrechnet werden, wodurch die Ticketpreise ins uferlose steigen würden. Zudem kämen solche Schutzwände schon fast einer Bevormundung gleich.
Es gibt sicherlich Fälle, in denen der Gefährdungsartikel Sinn macht. Doch in diesem Fall müssen Bahnbetreiber für die lasche Strafrechtspraxis bezahlen.
Denn erstens wäre der Täter mit einer strengeren Handhabung der Ausschaffungspraxis erst gar nicht mehr in der Schweiz.
Zweitens wird der Täterschutz noch immer hochgeschrieben. Es kann doch nicht sein, dass Bahnbetreiber wegen der Schuldunfähigkeit eines Täters für dessen Tat in die Bresche springen müssen. Eine Verschärfung von Art. 19 StGB (Schuldunfähigkeit) oder zumindest eine härtere Anwendung dieses Artikels muss angepackt werden. Denn heute wird eindeutig zu oft Schuldunfähigkeit ausgesprochen. In meinen Augen kennt nämlich jeder die möglichen Folgen von Alkohol- und Drogenkonsum. Daher sollte die Schuldfähigkeit auch nach dem Konsum bejaht werden. Drogenkonsum soll nicht mehr als Ausrede für begangene Taten verwendet werden können!
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